7 Schritte zum erfolgreichen Lernformat – online oder hybrid

Der Trend hin zu digitalisierten Lernformaten hat sich mit Covid-19 nicht verändert, bloss unheimlich beschleunigt. Weltweit sehen sich Bildungsanbieter und Personalentwickler gezwungen, klassische Schulungen, Workshops und Trainings ganz oder mindestens teilweise über Distanz durchzuführen. Auf beiden Seiten, als Kursteilnehmende und als Kursleitende, erfahren wir derzeit schnell, was begeistert, funktioniert und was wir nicht wollen. In den ersten Monaten der Pandemie haben Kursteilnehmende auf Experimente mit Online Learning offen und mehrheitlich geduldig reagiert. Wir alle haben verstanden, dass es sich um eine Notfallsituation handelt. Nach ersten Improvisationen müssen wir übergehen, Lern- und Entwicklungsformate der neuen Realität anzupassen, dabei Bewährtes systematisch zu fördern und Chancen zu nutzen. 

Chancen? Genau. Lernen über die Distanz assoziieren wir anhin als reduziertes oder zweitklassiges Lernerlebnis. Diese Idee entwickeln wir, wenn wir versuchen, klassische Präsenzformate online möglichst exakt zu kopieren. Eine Kopie bleibt eine Kopie, wirkt also immer lediglich kompensierend, nie originär. Genau hier müssen wir ansetzen. In der Konzeption von Bildungsformaten müssen wir also zuerst die Perspektive wechseln. Lernziele bleiben im Kern weitgehend dieselben, aber den Weg dorthin, den können wir kreativ, von Grund auf neugestalten und dabei Technologien nutzen, um nicht bloss Bewährtes zu imitieren, sondern neue Erlebnisse zu schaffen. 

Neue Lernerlebnisse schaffen, aber wie? Unabhängig vom Fachgebiet sollen in berufsbezogenen Trainings und Weiterbildungen Teilnehmende primär Handlungskompetenzen aufbauen. Wie aber fördern wir anwendbare Fähigkeiten im eigenen Arbeitsumfeld? Erwachsene lernen primär über eigene Erfahrungen und das Lösen von Problemen, gepaart mit Reflexionsschlaufen, dem sozialen Austausch mit anderen Fachkräften. Die Interaktion mit anderen erlaubt dabei eine Schärfung der eigenen Erfahrungen und Position (Handlungen in Worte fassen und erklären). Gleichzeitig spiegeln uns andere. Im Austausch mit anderen erweitern wir unser Verständnis, entwickeln neue Ideen und konstruieren unser Wissen. All dies fördert eine gemeinsame Sprache, ein Zusammengehörigkeitsgefühl, eine gemeinsam geteilte Arbeitsethik, ein Berufsstolz innerhalb einer Unternehmung, einem Netzwerk oder einer ganzen Branche. Lediglich ein kleinerer, dennoch wesentlicher Teil unserer lebenslang erworbenen Kompetenzen entsteht in Bildungsgängen, Kursen und formal organisierten Lernstunden. Lernen ist lebenslang, allumfassend und identitätsbildend. Dieses Verständnis müssen wir in der Konzeption von digitalisierten Lernformaten einbringen. Hier beschreiben wir sieben Schritte, die Ihnen helfen, Ihr klassisches Lernformat in ein Online-Präsenzformat zu überführen: 

1. Klarer Ablaufplan erstellen 

Die Distanz in Online Lernformaten reduziert Orientierung. Unsicherheiten bleiben länger unentdeckt. Schnelle Reaktionen und improvisieren funktionieren weniger gut als in physischen Präsenzformaten. Unsicherheiten müssen also über einen transparenten Ablauf und klare Instruktionen minimiert werden. 

2. Orientierung schaffen 

Welche Rolle(n) sollen die Teilnehmenden in Ihrem Kurs einnehmen? Was erwarten Sie von ihnen? Klären Sie die Erwartungshaltung gleich zu Beginn. Kommunizieren Sie den verbindlichen Verhaltenskodex. Online Kurse steigern die Gefahr, dass sich Teilnehmende verstecken, Mikrofon und Kamera ausschalten und in die Anonymität abtauchen. Reduziertes Engagement aber ist Gift für die Dynamik in Ihrem Onlineformat und hemmt das Lernen. Sie müssen also eine Orientierung darüber schaffen, wie die Teilnehmenden mit eigener Aktivität zum Gelingen in Ihrem Kurs beitragen. 

3. Aktivitätsgrad Teilnehmende erhöhen 

Gerade wenn Sie längere Online Formate durchführen, halbtägige oder ganztägige Kurse, benötigen Sie Unterstützung. Diese holen Sie sich von Ihren Kursteilnehmenden. Verstehen Sie Ihre Klasse nicht als Konsumenten, sondern als Co-Produzenten in Ihrem Kurs. Delegieren Sie einen hohen Zeitanteil, zwischen 2/3 und 3/4 der Kurszeit, an die Teilnehmenden. Idealerweise entwickeln Sie Übungsanlagen, Raum für Diskussionen und Aufträge, die einen Lerntransfer in den eigenen Arbeitskontext erlauben. Äusserst motivierend ist es, wenn Kursteilnehmenden Lerninhalte unmittelbar am eigenen Arbeitsplatz trainieren können, personalisiert, sinnstiftend mit direkt nutzbaren Resultaten im eigenen Job. Stellen Sie sicher, dass die Interaktion zwischen den Teilnehmenden gewährleistet ist: Intervisionen, kollegiale Feedbacks und Diskussionen statt Lehrgespräch. Die eigene Aktivität fördert die Aufmerksamkeit und das Engagement, steigert so die emotionale Betroffenheit und Motivation. Ihre Teilnehmenden lernen also effektiver und effizienter, wenn Sie sie einbinden. 

(c) Miro – online whiteboard für die virtuelle, interaktive Zusammenarbeit mit hohem Aktivitätsgrad.

4. Eigene Rolle überdenken 

Wenn Sie Ihre Teilnehmenden zu Co-Produzenten erklären, verändert sich Ihre Rolle. Sie sind jetzt weniger “Lehrkraft”, sondern mehr Gastgeber, Moderator, Coach (und ab und zu Rettungsschwimmer, wenn Kursteilnehmende temporär zu versinken drohen). Reflektieren Sie Ihr Verhalten, nehmen Sie sich zurück. Sie haben Orientierung geschaffen (Punkt 2), jetzt erlauben Sie Freiräume, damit Ihre Co-Produzenten eigene Erfahrungen sammeln und substanzielle Beiträge liefern können.  

5. Sichtbarkeit erzeugen 

Ihre Kursteilnehmenden leisten wertvolle Beiträge. Machen Sie diese sichtbar. Geben Sie Ihren Kursteilnehmenden online eine Bühne, denn Sichtbarkeit erhöht den Erwartungsdruck und den Leistungswillen. Achtung, auch fehlerhaft angewendete Methoden und Instrumente, ungenügende Analysen und wenig durchdachte Handlungsempfehlungen sind wertvolle Bausteine für den weiteren Lernprozess. Solche Resultate sind wahre Goldgruben für emotionsgeladene, lebhafte Diskussionen.  

6. Integration sicherstellen 

Ihre Kursteilnehmenden entwickeln meist “Bausteine”. Als Kursleiter ist es Ihre Aufgabe, diese Wissensbausteine so zu arrangieren, dass Ihre Teilnehmenden das grosse Ganze erleben, also das Lernobjekt vernetzt und in der anvisierten Komplexität verstehen und einordnen können. Erlauben Sie dazu in Ihrem Online Format genügend Zeit. 

7. Online und On-Site orchestrieren 

Mit COVID-19 haben viele von uns in kurzer Zeit neue Erfahrungen mit digitalen Kollaborationssystemen gesammelt. Dabei haben wir Grenzen aber auch Chancen festgestellt. Aktuelle Lerntheorien, allen voran erfahrungsbasierte und sozial konstruktivistische Ansätze, zeigen uns, dass das Ausprobieren und das authentische Erleben von neuen Fähigkeiten, aber auch das Betrachten anderer und die Interaktion innerhalb des Netzwerks, wesentlich im Lernprozess sind. Hier bleibt also die physische Präsenz wichtig. Versuchen Sie deshalb, in kreativer Abstimmung das Beste aus beiden Welten, digital und physisch, zu vereinen. So kann etwa ein eine gezielte Abstimmung aus flexiblen Online-Modulen und punktuellen Highlights vor Ort Reichweite, Wirkung und Skalierbarkeit des Programmes positiv beeinflussen. 

Das Gestalten und Führen von digitalen Lernerlebnissen, sei es komplett online oder auch als hybride Formate, ist für viele Kursleiter eine Herausforderung, ein Schritt aus der eigenen Komfortzone. Jede Erfahrung erweitert die eigenen Kompetenzen. Beginnen Sie in kleinen Schritten, machen Sie schnelle Lernerfahrungen und entwickeln Sie die Elemente weiter, die sich bewähren. Schritt für Schritt. Und noch nie zuvor war die Zeit reifer als jetzt, neue Wege zu beschreiten. Viel Erfolg! 

Portrait von Author Omar Lüthi

Zum Author: Omar Lüthi ist Organisationsentwickler und Mitgründer bei Dual Academy Bern (https://www.dual.ac). Dual Academy spezialisiert sich in enger Zusammenarbeit mit den Kunden auf die Konzeption und Durchführung erfahrungsbasierter, mediengestützter Lern- und Entwicklungsformate, personalisierte Arbeitsplatztrainings und digitaler Lerneinheiten in der Personalentwicklung und höheren Berufsbildung.

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